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Verse und andere Gereimtheiten

Kategorie: Betrachtung (Seite 3 von 4)

Hannibal

Gegen den Alltag siegt man sich zu Tode.

Unverschämtes Glück

»Toller Zufall« sagt man nicht. Jene, die sich etwas zu überschwenglich über das Eintreffen ungeplanter Ereignisse freuen, neigen zur Überzeugung, dass die Welt besser ohne das gestaltungswillige Zusetzen der Menschen dran wäre. Wer Zufällen Macht eingeräumt sehen will, hat eine devote Sehnsucht nach romantischer Vorherbestimmung. Alles Antikommunisten.

Wir sind das Volk

In der Küche eines Freundes, welche ob ihrer Eingerichtetheit der Geselligkeit sehr zuträglich ist, hängt an der Wand ein Zettel, auf welchem ein Zitat Max Goldts geschrieben steht:

»Fußball ist kein Thema derer, die das Morgen gestalten«

Man kann sich die Neigungen seiner Gäste nicht aussuchen. Und Fußball – möge man hier altklug einwenden – wird auch morgen ein Thema sein. Es ist schon eines seit der Antike. Der moderne Fußball wenigstens, um mit einer guten Nachricht zu eröffnen, ist der Männlichkeit Tod. Es ist begrüßenswert, dass das hufige Kämpfen, Rennen und Pille über die Linie schleppen sich inzwischen nahezu chancenlos zeigt gegen die elegante Dominanz intelligenter Spielsysteme. Dumm allein der Gedanke, dass analog zur Intelligenz des Spiels auch das Publikum reifen würde. Fußball bleibt ein Spiel, das sich genießen lässt, ohne dass man es begreifen muss. Der Pöbel drängt sich einfach dahin, wo bei Siegen der meiste Ruhmeslärm herrscht. Das Volk also denkt wie immer, es dürfe mittendrin dabei sein, natürlich auch da oder gerade da, wo es sich daneben benimmt. Wer Leipziger kennt, versteht mich da.

Auch deswegen musste sich zuletzt erst der deutsche Fußballspieler Mats Hummels darüber wundern, dass jedermann am Schalter vorm Stadion Eintrittskarten erwerben konnte, um Zutritt zu seiner Welt zu erhalten. Dieses schöne Recht nämlich nutzten deutsche Nazis in Tschechien, um zur besten Sendezeit der zuschauenden Welt mitzuteilen, wie weit es der deutsche Tourismus nach 1945 inzwischen wieder gebracht hat.

»Wir sind nicht deren Nationalmannschaft« (Bundestrainer Joachim Löw)

Wo man zu bequem und geizig ist, sich sein Volk ordentlich zu erziehen, kann man immer noch Mittel anstrengen, um das Volk da auszugrenzen, wo es den gesitteten Ablauf einträglicher Veranstaltungen stört. Aber manche Veranstalter wollen oder können sich einmal nicht den Teppich leisten, unter welchen die Dummheit, die ständig und überall produziert wird, zu kehren ginge. Das jedoch ist der eigentliche Fehler:

»Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in Ländern wie San Marino oder Tschechien keine absolute Sicherheit gibt, weil dort zum Beispiel von Einheimischen unkontrolliert Tickets weitergegeben werden und in den freien Verkauf gelangen« (DFB-Präsident Reinhard Grindel)

Wenn deutsche Trottel im Ausland herumreisen und -rotzen – will das heißen – dann tragen wie immer die Einheimischen die Schuld.

Erpressungsassymmetrie

Wo man sich dem Feind hoffnungslos unterlegen sieht, wo also ein Kräftemessen gleichbedeutend dem eigenen Untergang ist, muss der so ins Hintertreffen geratene jene Zweifel, die sein Gegner an der eigenen Tatüberzeugung hegen könnte, durch übersteigerten Eifer wettzumachen suchen. Dem Underdog muss es gelingen, die Aura des selbstmörderischen Wahnsinns, die es hierfür braucht, glaubhaft zu verströmen. Nur damit kann er eine »Erpressungssymmetrie« herstellen und am Verhandlungstisch bleiben.

Aber wie lange kann man den Wahnsinnigen spielen, ohne dabei wahnsinnig zu werden? Wer immer nur kleine Einsätze hält, sieht sich stets aufs Neue genötigt, All In zu spielen.

Die Paranoia wird irgendwann einfach ins Objekt ausgelagert. Der Größenwahnsinnige im Endstadium redet sich schließlich ein, die anderen fühlten sich von ihm verfolgt:

»Sollten wir unseren super-gewaltigen Präventivschlag starten, wird er nicht nur umgehend die Truppen der US-Imperialisten in Südkorea und Umgebung, sondern auch das US-Festland auslöschen und zu Asche machen.«

Ich plädiere für die altmodische Lösung:

Serviere den Despoten Tapas,
Mit Gruß von ihren toten Papas.

Wahlhans Küchenmeister

Oder: Diagnose Dyskalkulie

Weil viele jetzt den Fehler wählen:
Drum schreien sie, dass Wähler fehlen.

Bei »Dyskalkulie« handelt sich um ein »kompensierbares Verständnisproblem im arithmetischen Grundlagenbereich […], wobei die Betroffenen mit ihrer subjektiven Logik in systematisierbarer Art und Weise Fehler machen, die auf begrifflichen Verinnerlichungsproblemen beruhen«. (Quelle: Wikipedia)

Kompetenz

Wir lassen uns lieber »dumm« als »klug« heißen. Von Dummheit dürfen andere gern mehr verstehen als wir.

Buddhas Gummibärchen

Schrecklich heimgesucht sind jene, die sich auf eine Reise begeben und ihre Reiselektüre zuhause vergessen haben. Zwischen ihnen und dem geistigen Hungertod steht jetzt noch ein Zeitungskiosk.

Man kann sich dies als Szene in etwa so ausmalen: Ein Mensch, bereit zum Überlebenskampf in der Wildnis Alaskas, vor sich nur noch Wetter, Wald und Wölfe, hat seinen Proviant vergessen; und da steht noch ein letztes Haus am Rande der Zivilisation und darin befindet sich eine Filiale von »Bears and Friends«.

Ausgezehrten Hirns klappt sich der Unglückliche in der Economy Class zusammen. Der Hunger schnappt zu, die Verzweiflung greift zum Bordmagazin.

Darin werden Reiseziele empfohlen, in deren Nähe sich ein Flughafen befindet. Jede Ausgabe schmückt sich dann noch mit einem prominenten Gesicht, das dem Leser Einsichten gewährt. Die Grundidee des Interviews besteht darin, dass Sänger, Schauspieler oder Rennfahrer durch Journalisten ermutigt werden, uns die Welt zu erklären. Das klingt noch schlimmer, nachdem man darüber nachgedacht hat: Einer, der nichts kann, fragt einen, der nichts weiß.*

Der Hunger treibts rein. Wir vernehmen den Schauspieler Richard Gere. Der hält eine nützliche Weisheit für all jene bereit, deren Leben er längst hinter sich lassen durfte:

»Das beste Beispiel hat mir einer meiner buddhistischen Lehrer gegeben: Wenn du meditierst und Lärm hörst, weil jemand an die Wand pocht oder laut spricht, dann denkst du dir spontan: Gott, ich wünschte, der würde endlich aufhören. Er meinte, das sei eine sehr westliche Einstellung. Der wirklich Meditierende denkt sich: Toll, ich spüre die Präsenz eines anderen menschlichen Wesens. Und es geht ihm das Herz auf. Mit dieser Einstellung sollte man leben«.**

Wem hierbei noch spürbar das Herz aufginge, das sind allenfalls die Geheimdienste. Dagegen hätte, wollte doch gemeint sein, jedwede Gesellschaft, welche die Privatssphäre respektierte, stets unseren Beifall verdient.

Aber vielleicht muss man sich nur wie Mr. Gere eine Villa kaufen. Die entscheidende Wohltat einer solchen liegt darin, die Präsenz anderer menschlicher Wesen gen Null zu drücken. Wer wiederum die Präsenz solcher Wesen wie Richard Gere reduzieren möchte, der reise nicht oder – wenn sich das dummerweise nicht vermeiden lässt: der schmiere seinem Hirn genügend Stullen für den Weg.

* Hat wer eine kürzere Definition für ein Interview?
** Zitiert aus dem »Lufthansa magazin« April-Juni 2017.

Viva Flensburg

Was sind das für Menschen, die Radiosender hören, in denen vor Blitzern gewarnt wird? Die Musik, die auf diesen Sendern läuft ist schon so schlecht, dass in jedem Mensch von Geschmack das Bedürfnis, die Reise zu Fuß fortzusetzen, obsiegen sollte.

Der gemeine Wunsch jedoch, von staatlicher Gängelung befreit zu sein, ist stärker und steigert sich im beherzten Bürger zum Hass auf den Blitzer. Der so Ausgebremste sieht in seinem persönlichen Vorankommen das der Allgemeinheit selbstverständlich verbürgt. Regeln sind Fesseln und sie fesseln den Tüchtigen, dessen Wert sich auch nach Pferdestärken bestimmen ließe. Hinzukommt, dass derjenige, der sich erwischt findet, sich stets sicher ist: Es hat den Falschen erwischt.

Der Vorteil von Blitzern ist weitgehend unbegriffen: Indem sie als unentwegte Drohung die Drängler zur Zurückhaltung mahnen, nehmen sie den Rücksichtslosen die Zeit. Wieviel schrecklicher eine Welt, in der ausgerechnet jene noch mehr Zeit hätten, die es stets am lautesten bedauern, zu wenig Zeit zu haben? Keiner kann wollen, dass die eher ankommen.

;) Das Smiley

Wackelkontakt: Über Metakommunikation auf unterster Ebene

Ein Smiley zeigt an, dass etwas fehlt: Der Wille nämlich zu einem vollständigen Gedanken. Dabei wissen die Hersteller jener abgebrochenen Sendung sehr wohl, dass sie zu wenig liefern und schmeißen beschwichtigend sozialen Ramsch hinterher: Das Smiley. Wie eigentlich nennt man das, was man im Handel als Entschädigung dafür bekommt, dass man ein fehlerhaftes Produkt erhalten hat?

Qualitätsware hätte so etwas nicht nötig. Im Gegenteil. Welcher Stümper wollte einen hübsch zusammengezimmerten Gesprächsgegenstand nachträglich durch ein Smiley entstellen? Aber dazu kommt es nicht. Die steinige Mühe vor Augen, den vollständigen Gedanken ins Ziel schleppen zu müssen, brechen die meisten die Übertragung willkürlich ab und erklären den stiefmütterlich hingeworfenen Gedankentorso leichten Hirns für fertig, indem sie ihr Smiley sprechen lassen: »Freund, ich bin dir wohlgesonnen – viel mehr brauchst du jetzt nicht wissen.« Konversation ist zu anstrengend. Man furzt ohne anständig verdaut zu haben.*

Die Vorteile des Smileys wiederum sind zu offensichtlich, um nicht sofort zu bestechen: Sie sparen Zeit: Emoticons sind Fertiggerichte fürs Gemüt. Bla-Bla to-go. Andererseits versichern sie dem Empfänger, dass man es ganz sicher nicht so gemeint hat – sollte man sich versehentlich den Luxus einer Meinung geleistet haben.

Dennoch: Ein Smiley ist nichts weniger als eine Beleidigung. Wenn nämlich das Wertvollste des Menschen des Menschen Zeit ist, dann bekommt man hier sehr augenscheinlich bedeutet, was man dem anderen gerade nicht wert ist: Wer ein Smiley erhalten hat, dem wurden die sozialen Zuwendungen gekürzt; der wurde in den freundschaftlichen Sparhaushalt verschoben. Und sage nur keiner, dass er keine Zeit habe. Niemand hat jemals Zeit. Aber wenn man schon keine Zeit hat, dann sollte man diese nicht auch noch mit Belanglosigkeiten vertun.

Immerhin: Die Smiley-Benutzer »sparen« am Ende nicht nur sich selbst die Zeit, sondern auch uns. Denn das Smiley ist sehr hilfreich bei der sozialen Schnellauswahl: Personen, die Smileys versenden, muss man nicht antworten. Ein Smiley ist wie ein Prüfzeichen: Transportgut bedenkenlos. Inhalt lässt sich ohne Rückstände entsorgen.

Es spricht ja nichts dagegen, faul zu sein und sich das Leben einfach zu machen. Aber doch nicht da, wo es spielt. Da nämlich, wo man – vermittelt oder unvermittelt – noch aufeinander trifft. Mäßigen wir uns endlich zur Milde herab und erinnern uns ehrfürchtig daran, welch schrecklichen Fluch schon Giacomo Casanova der Menschheit hinterlassen hat:

»Faulheit wird durch Langeweile schon bestraft«.

*Die vorliegende Polemik hält es nicht für nötig zu beweisen, dass es immer falsch ist – selbst in den nebensächlichsten Angelegenheiten – den Anspruch aufzugeben, Haltung zu zeigen. Der kategorische Imperativ gilt immer, auch im Bereich des geselligen Obsorgens.

Gottes Werk

Dort, wo sich der Mensch zum Warten gedrängt findet, sieht er sich – oft mehr als es ihm ziemte – dazu veranlasst, die rechte Fügung der Welt in Zweifel zu ziehen. Dabei sollte er, schicklicheren Erwägungen folgend, besser davon absehen, öffentliche Räume aufzusuchen, deren betriebsgemäßer Zustand der der Überfüllung ist; Orte also, an denen die erschöpfende Versorgung aller mit Gütern des geneigten Bedarfs für ungesichert gelten muss.

Wo Knappheit herrscht ist das Herzeigen von Gesittung Luxus und ganz sicher von Nachteil für denjenigen, der ihn sich leistet. Dies gilt umso mehr, wo der Durstige einen von zahlreichem Volk umlagerten Tresen vorfindet. Gleich der Stürmung einer Festung sieht er mehrere Angriffswellen an die Mauer heranwogen und es ist nicht vorherzusagen, an welcher Stelle der Durchbruch gelingen wird.

Dinge etwa dieser Art gingen dem besorgten weil durstigen Betrachter durch den Kopf, während er sich von den hinteren, vorwärtsdrängenden Reihen langsam in Richtung Tresen schieben ließ in der beständigen Hoffnung, eine Ecke der Theke zu erobern, geeignet, sich mit dem Wirt ins Verständnis zu setzen.

Auf jenen Posten hatte es jedoch bereits eine Dame mit erwiesenen Vorzügen abgesehen, welche in der Folge mit frappierend unweiblicher Grobheit ihr Vorwärtskommen unter Gebrauch beider Ellbogen zu beschleunigen wusste. Endlich kam sie mithilfe wohlplatzierter Ruppigkeiten zwischen Tresen und Betrachter zum Stehen. Der Wirt erfasste ohne Säumnis ihre erwiesenen Vorzüge mitsamt ihrem Bestellwunsch. Der ob dieser Dreistigkeit zunächst in Staunen versetzte Betrachter entschloss sich schließlich, die über alle Maßen zielstrebige Delinquentin mit ein paar Heineversen heiter zu belehren:

»Gott versah uns mit zwei Händen,
Dass wir doppelt Gutes spenden,
Nicht, um doppelt zuzugreifen
Und die Beute aufzuhäufen.«

Da hielt sie längst ihr frisch Gezapftes in Händen und unterbrach den Vortragenden mit dem überschwenglichen Freimut der Siegerin: »Gott versah uns mit zwei Brüsten«. Triumphestrunken floh sie samt Bier die wogende Menge. Die am Tresen entstandene Lücke schloss sich rasch und ließ den so schnöd Hintangestellten nachdenklich zurück.

»Unverschämt«, befand ein späterhin zugesellter Freund, welcher den geschilderten Ereignissen in steigender Erregtheit gefolgt war. »Immerhin hat das Metrum gestimmt« beschwichtigte der Betroffene, der zunehmend über seinem Bier genas, und fügte, auf das inzwischen leere Glas des noch immer fassungslosen Freundes deutend, hinzu: »Bring mir bitte eins mit!«

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