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Verse und andere Gereimtheiten

Kategorie: Gedicht (Seite 1 von 8)

Dubček, Aquaplaning

Aus der Welt, aus Böhmisch-Mähren,
Aus der Fahrbahn schoss ein Wagen,
Schräg nach vorn sich überquerend,
Kam er nicht noch mal zum Tragen.

Dies passierte Neunzehnhundert-
zweiundneunzig einem Mann,
Dem das – schnappte man verwundert –
Arglos nicht geschehn sein kann.

Doch die späthin einbestellte
Untersuchung fand nicht eine
Spur, die den Verdacht erhellte
Für das Böse. Man sah keine

Dunklen Kräfte hier am Werk.
Gott ließ jenen Dissidenten,
Einst Prophet, bald ohne Berg,
Grußlos in der Ödnis enden.

Toquillage

Die Geschlossenheit der Reichen
Kennt im Freisein kein Erbarmen:
Luxus lässt sich nicht erweichen;
Hart ist noch das Brot der Armen.

Hat ein Reicher einmal Pech,
Wenn der Steuerfahnder ihn
Ins Visier nimmt und dann frech
Auch erwischt beim Hinterziehn,

Ruft er seine Limousine,
Worin da sein Anwalt schon.
Eh die Schwedische Gardine
In das Schloss fällt, sitzt Kaution.

Für weit weniger als dies
Fährt der Arme auf der Stelle
(Weil er sich ertappen ließ)
Freilich ein in seine Zelle.

Denn bei Sicherheit von Reichen
Kennt der Richter kein Erbarmen,
Schützt er doch, für seinesgleichen,
Was gestohlen von den Armen.

Lenin Weihnachtsmann

Ihr braven Kinderlein, es gibt keine Geschenke.
Die Schlittentiere harren dröge vor der Tränke.
Dort streiken sie fast unbemerkt im Walde draußen,
In Wahrung der gewerkschaftlichen Pausen.

Demungeachtet wäre euer Sack auch leer,
Die Produktionsverhältnisse sind drin, daher:
Was ihr für andre herstellt, könnt ihr euch nicht leisten,
Wagt ihr es noch, euch zu erdreisten?

Ein kleiner Junge steht vorm Christbaum unter Tränen,
Da endlich tritt zum Troste ihm entgegen Lenin:
Gen Osten zieht ihr bald schon wieder in den Schnee,
Geschenke bringt euch dann die Rotarmee.

Linkes Herz, MdB

Abgeordnet in die Kammer,
Stopfgemästet mit Diäten,
Stört dich zyklisch nur noch Jammer
Derer, die geplagt von Nöten.
Dann, zum Wahlkampf, schlägst du drein:
Leben muss bezahlbar sein.  

Linkes Herz am rechten Platz,
Aber stets in freier Peilung,
Liest du morgens in der taz:
Schuld am Leid sei die Verteilung.
Abends wieder schmeckt der Wein: 
Leben muss bezahlbar sein.  

Unbemerkt, an Wochenenden,
Wirst du dich ins Land begeben
Für Gespräche mit Verbänden,
Die besorgt ums Wirtschaftsleben.
Immerhin, man lädt dich ein:
Leben muss bezahlbar sein.  

Dort verkehren dicke Herren,
Damen, die sich kenntlich zeigen,
Die sich keinem Flegel sperren,
Schicklich nachher drüber schweigen.
Und du fragst dich, kann so ein
Leben denn bezahlbar sein?  

Drauf, zu fortgerückter Stunde,
Hört man ein paar Koffer klacken
Und der Dickste in der Runde
Klatscht den Damen auf die Backen,
Zahlt den Deckel, lächelt drein:
»Jeder muss bezahlbar sein.«

G.

Wer wollte diesem Stoff das Drama schreiben?
Der größte Narr, der je gelebt, ist tot.
Der Clown ist tot. Feststeht: Er wird es bleiben.
Er gab den Retter. Ohne Not.
Was ist der letzte Lohn dann, für sein Treiben?
Ein Grabstein: stark beschmiert mit Menschenkot,
Worauf sich wieder welche übergeben.
Wer hier ans Beet kommt, den bestraft das Leben.

Heilige Lieferkette

Klaus Ruprecht ist in stiller Nacht
Mit seinem Schlitten in den Baum gekracht.

Nun fragt ihr euch: wie konnte ihm gelingen
Mir dennoch ein Geschenk zu bringen?

Ich war, weiß Gott, der Fleißigste von allen,
Was ihm besonders gut gefallen.

Weshalb er mir allein nur ein Geschenk noch brachte
Und sich dann humpelnd auf den Heimweg machte.

Dem Deutschen Volke

Es kübelt aus dem Kübel.
Da kommt das klein’re Übel
Bereits herbeigelaufen,
Uns Schirme zu verkaufen.  

Indessen bricht sich Bahn
Unbändig ein Orkan,
Den Schirm uns fort zu reißen,
Uns richtig anzuscheißen.

Ermächtigung

Es hat, an einem Ostseestrand,
Breit hingestreckt die Flossen,
Ein süßer Fisch im Dünensand
Ein Sonnenbad genossen.  

Da kam ein Mann mit Hut daher,
Doch einer mit Manier,
Und sprach: Da drüben liegt das Meer,
Was also liegst du hier?  

Geduld, mein Freund, noch eine Weile! 
Bis ich dir sag: Es flute! 
Den guten Angler, den schickt keine Eile.
Doch hol schon mal die Rute!

Der Philosophische Tresen

Uneingeschränkt empörte Hegel.
Es war der unerhörte Pegel!

Derweil blieb Schopenhauer trocken
Auf seinem Stuhl (in Trauer) hocken.

Die Gäste wieder fanden Dichte
Im Blick des redundanten Fichte.

Ohnmächtig soff sich Bacon tot,
Wo sich ihm Spaß an Theken bot.

Vom Flaschenbier bestellte Kant
Nur das, was unter Kälte stand.

Schon machte fette Beute Marx. 
Die Reaktion der Meute barg’s.

Verlor sich dann Heidegger mehr,
Zog über ihn Gemecker her.

Gezeichnet von der Welt: Descartes,
Der rauchen in der Kälte war.  

Dann traf der Schnaps, zum letzten Schock,
Den weithin überschätzten Locke.  

Worauf zum Schluss Adorno stumpf
Vom Wirt verlangte Storno dumpf.

Kritische Theorie

Der Winter geht
Auf leisen Sohlen.
Und noch zu spät.
Wir strecken Kohlen  

Und trinken Wein
Wie Philosophen,
Der Mai tritt ein,
Du gähnst am Ofen.

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