Sudelseite

Verse und andere Gereimtheiten

Monat: November 2018

Schüttelfest

Der Schüttelreim ist eine weihnachtliche Gattung. Er funkelt auch ohne Inhalt. Etwas Lametta, ein paar Kerzen und die Tanne strahlt. Aber Vorsicht:

Er schickt sich in versteckte Pflicht,
Wie er ins Unbefleckte sticht.

Ab dem 1. Dezember öffnet sich auf der Sudelseite jeden Tag eine Tür.

P. H.

Ich träumte einen Traum:
Ich hing als letztes Blatt
Im Herbst an einem Baum
Und fiel nicht ab.

Der Winter zog herauf
Und fuhr in jeden Ast.
Doch ich blieb obenauf:
Als letzter Gast.

Ich trotzte allen Winden
Und Stürmen, nass und kalt,
Und ließ mich nicht entbinden
Von meinem Halt.

Anhob zuletzt ein Kreischen,
Aus einer fremden Welt,
Da ward der Baum gefällt.
Wir mussten beide weichen.

Vollmondig

Der Vollmond ward im Wein gefunden,
Dort lag er drin, im Glas, ganz unten.
Und keiner wusste ein Gelingen,
Ihn auch nur halb herauszubringen.

Hoheitsgebiete

Emporgehoben auf den Thron
Empfängt mein Blick der schönsten Länder
Reiz. So wächst dem König Lohn
Im Dienste

Stets
Dein Seifenspender

Mitläufer a. D.

Der Spitzel ist im Gegensatz zum Fußballer ein durchaus ehrbarer Beruf und kein Land ist gut beraten, in diesem ernsten Fach so viele mitlaufende Laien der Art zu beschäftigen, wie das seinerzeit die DDR im Spitzensport praktiziert hatte. Was – unter anderem – folgende Privinzposse zeigt, die sich in den letzten Tagen in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden zugetragen hat:

Drei Fußballrentner*, allesamt ehemalige Spieler der SG Dynamo Dresden, schneiden seit geraumer Zeit ihren Rentnerkollegen**. Jener hatte in den Siebzigern und Achtzigern von eben den dreien Informationen privater Natur an die zuständige Dienstbehörde weitergeleitet. Die vier Kollegen sind jüngst, nebst einiger anderer, öffentlich und mit allerlei Bohei durch den Verein ausgezeichnet worden: Oberhalb der Haupttribüne hängen ihre Konterfeis seitdem mitsammen im Stadion – als überlebensgroße Abbildungen – zur Würdigung besonderer Verdienste um den Verein. Plötzlich aber wollen die drei Bespitzelten nicht mehr neben dem Täter hängen und fordern: Er verschwindet aus den Rängen oder wir. Der so Geschmähte nimmt dem Verein die Entscheidung ab und verzichtet.

Dessen ungeachtet erscheint über der Tribüne des Stadions in großen Lettern der Name des Bauwerks: »Rudolf-Harbig-Stadion«. Und daneben: »Hier ist Heimat«. Der »Wunderläufer« (Günter Grass) Rudolf Harbig, dessen Trainer sich und seinen Schützling als glühende Antisemiten lobte, durfte seine größten Erfolge im Nationalsozialismus feiern. Unsere drei Fußballer, die nach dem Schlusspfiff nie einen Gedanken hatten, wert, an befugte Stelle weitergeleitet zu werden, haben sich entschieden: Lieber hängen wir neben einem NSDAP-Mitglied. Denn hier ist Heimat. Da hat man zu wissen, auf welcher Seite mitgelaufen wird.

Man soll nicht ungerecht sein: Fußballer haben es schwer, in den Besitz eines Charakters zu gelangen. Sie beherrschen eine Sache gut, die sie spielerisch und ohne Mühe erlernt haben und zeichnen sich darin früh vor ihren Mitmenschen aus. Zu früher Erfolg aber verdirbt den Charakter.

Sport frei!

*Hans-Jürgen Kreische, Klaus Sammer, Dieter Riedel
**Eduard Geyer

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