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Verse und andere Gereimtheiten

Toquillage

Die Geschlossenheit der Reichen
Kennt im Freisein kein Erbarmen:
Luxus lässt sich nicht erweichen;
Hart ist auch das Brot der Armen.

Hat ein Reicher einmal Pech,
Wenn der Steuerfahnder ihn
Ins Visier nimmt und dann frech
Noch erwischt beim Hinterziehn,

Ruft er seine Limousine,
Worin da sein Anwalt schon.
Eh die Schwedische Gardine
In das Schloss fällt, sitzt Kaution.

Für weit weniger als dies
Fährt der Arme auf der Stelle
(Weil er sich ertappen ließ)
Freilich ein in seine Zelle.

Denn bei Sicherheit von Reichen
Kennt der Richter kein Erbarmen,
Schützt er doch, für seinesgleichen,
Was gestohlen von den Armen.

Opportunistisches Ende

Von einem toten Pferd kann man nicht fallen.

Steuerparadies

Die ungelösten Steuerfälle
Sind eine offene Feuerstelle.

Ursache und Wirkung

Klage nicht die Wellen an, weil der Stein ins Wasser gefallen ist.

Die Buchmesse

Nur elende Gesichter, da,
Wo man nicht einen Dichter sah.

Lenin Weihnachtsmann

Ihr braven Kinderlein, es gibt keine Geschenke.
Die Schlittentiere harren dröge vor der Tränke.
Dort streiken sie fast unbemerkt im Walde draußen,
In Wahrung der gewerkschaftlichen Pausen.

Demungeachtet wäre euer Sack auch leer,
Die Produktionsverhältnisse sind drin, daher:
Was ihr für andre herstellt, könnt ihr euch nicht leisten,
Wagt ihr es noch, euch zu erdreisten?

Ein kleiner Junge steht vorm Christbaum unter Tränen,
Da endlich tritt zum Troste ihm entgegen Lenin:
Gen Osten zieht ihr bald schon wieder in den Schnee,
Geschenke bringt euch dann die Rotarmee.

Kapitalistisches Liebeslied

Du weißt, was mir gefällt,
Doch du weißt auch:
Dass du mir das nicht geben kannst und dass
Mir keine andre geben darf,
Was dich vergessen macht.

Ach wie schön wird erst die Welt sein,
Wenn du fort bist.

Du gibst von selbst nicht auf,
Das weiß ich auch.
Dass du dir das nicht nehmen lässt, war klar.
Bevor du dich verlassen siehst,
Gehn alle mit dir drauf.

Ach wie schön muss erst die Welt sein,
Wenn du fort bist.

Angemessene Durchdringung

An das Ozonloch konnte er sich nur noch lückenhaft erinnern.

Ferngehen

Der Horizont wartet nicht auf dich.

Linkes Herz, MdB

Abgeordnet in die Kammer,
Stopfgemästet mit Diäten,
Stört dich zyklisch nur noch Jammer
Derer, die geplagt von Nöten.
Dann, zum Wahlkampf, schlägst du drein:
Leben muss bezahlbar sein.  

Linkes Herz am rechten Platz,
Aber stets in freier Peilung,
Liest du morgens in der taz:
Schuld am Leid sei die Verteilung.
Abends wieder schmeckt der Wein: 
Leben muss bezahlbar sein.  

Unbemerkt, an Wochenenden,
Wirst du dich ins Land begeben
Für Gespräche mit Verbänden,
Die besorgt ums Wirtschaftsleben.
Immerhin, man lädt dich ein:
Leben muss bezahlbar sein.  

Dort verkehren dicke Herren,
Damen, die sich kenntlich zeigen,
Die sich keinem Flegel sperren,
Schicklich nachher drüber schweigen.
Und du fragst dich, kann so ein
Leben denn bezahlbar sein?  

Drauf, zu fortgerückter Stunde,
Hört man ein paar Koffer klacken
Und der Dickste in der Runde
Klatscht den Damen auf die Backen,
Zahlt den Deckel, lächelt drein:
»Jeder muss bezahlbar sein.«

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