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Verse und andere Gereimtheiten

Monat: Januar 2019 (Seite 1 von 2)

Verfolgungswahn

Ein dummer Witz, der glaubte sich umzingelt.
Und steht noch heute hinter der Gardine und er wartet,
Dass es klingelt.

Gewährleistungsmangel

Jeder Deckel darf erhoffen
Einen Topf für sich, der offen,
Dass er auch auf diesen passe,
Folglich das Vertrauen fasse,

Drauf
zu machen sich. Jedoch!

Fände sich im Topf ein Loch:
Ungesichert dann der Glaube,
Dass, was unter jener Haube,
Fest gedeckelt ferner noch.

Deutsche Turnkameraden

Zu wünschen wär: die Sportgefährten
Gehörten zu den Fortgesperrten.

Luftnummer

Ein Furz lässt sich nicht verbuddeln.

Neues von der modernen Lyrik

Fahrgäste
ohne gültigen
Fahrausweis
zahlen ein
erhöhtes
Beförderungs-
entgelt gemäß den
Beförderungs-
bedingungen

Die Regel

Eine Regel schritt gemessen
Ihres Wegs nach Schema F.
Wirkte aber in Betreff
Dessen auch schon selbstvergessen.

Und der Ort, wohin sie langte,
Während sie sich gehen ließ,
War ihr unbekannt und dies
Jetzt der Grund, worauf sie schwankte:

Spitz im Dunkel einer Gasse,
Hielt ein Winkel sich versteckt,
Hat sie mit Gewalt geschreckt,
Dass sie kräftig aderlasse.

Doch die Regel, so bedroht,
Rief, »Den Frevel werd ich rächen!
Nein, ich lasse mich nicht brechen!«
Und sie schlug den Winkel tot.

EPILOG

»Welch Fanal, welch dunkles Zeichen,
Von sich selber abzuweichen!«
Sprach die Regel, schon im Gehen,
Fast als wäre nichts geschehn.

Der Gemütsmensch

Er hat sein Unbehagen satt
Und sagt, was er zu sagen hat.

Eine Plagiatsaffäre

Ein Löw, der stets nur Fleisch gerissen,
Hat unverhofft ins Gras gebissen.

Im Wiesengrund, wo er verschieden,
Da treibt die Pusteblume Blüten

Und fasst zusammen das Geseh’ne:
»Gefährlich sind des Löwen Zähne«.

Worauf sie schließt – bestäubt vom Wahn –
»Gefährlich auch: der Löwenzahn«.

Da schnell für falsche Größe büßt,
Wer seinen Stern so böse grüßt,

Hat sorgend eine Gans zuletzt
Noch Gänsefüßchen hingesetzt.

In treuer Erwartung

Der Vorwurf, dass die Medien lügen ist, umseitig betrachtet, nichts als die paradoxe Forderung, die Presse möge durch das Volk zensiert werden, auch wenn es nicht herrscht.

Als Napoleon im Frühjahr 1815 die Kulissen seines politischen Exils auf Elba umstieß, mit kleiner Suite und nahezu unbewaffnet in Südfrankreich landete, um seinen Anspruch auf den Thron der Franzosen ein letztes Mal zu erneuern, hielt man ihn am Pariser Hof und in dessen Zeitungen für einen Wahnsinnigen. In Paris hatte sich die alte Bourbonen-Dynastie längst wieder kommodiert und dem klüngeligen Treiben die genehme Strömung verordnet. Aber es zeigte sich, dass die französischen Bauern im Rest des Landes wenig Sympathie hegten für die neuen alten Herrscher, denn sie hatten nicht ohne Grund die Wiederherstellung der Boden- und Eigentumsverhältnisse der Jahre vor 1789 zu fürchten. Ihr Schlachtruf: »Es lebe der Kaiser! Nieder mit dem Adel! Nieder mit den Pfaffen!« Die Loyalität des Heeres gegenüber ihrem Soldatenkaiser war ungebrochen. Bonaparte rückeroberte Frankreich ohne dass ein Schuss fiel. Der Marsch von Lyon nach Paris geriet zum Triumphzug.

Die Zeitungen nahmen die Witterung auf nach dem neuen Futternapf. Der sowjetische Historiker Eugen Tarlé spiegelte die Presse zu dieser Episode in seiner Napoleon-Biografie:

»Typisch für ihre Haltung in diesen Tagen war die strenge Konsequenz der ›schmückenden‹ Beiworte, die Napoleon zugelegt wurden, je nachdem, wie weit er schon von Süden nach Norden vorgerückt war. Die erste Nachricht lautete: ›Das korsische Ungeheuer ist in der Bucht von Juan gelandet.‹ Die zweite: ›Der Menschenfresser marschiert auf Grasse zu.‹ Die dritte: ›Der Ursupator ist in Grenoble eingezogen.‹ Die vierte: ›Bonaparte hat Lyon besetzt.‹ Die fünfte: ›Napoleon nähert sich Fontainebleau.‹ Die sechste: ›Seine kaiserliche Hoheit wird heute in seinem getreuen Paris erwartet.‹«

Nach Waterloo hatte der große Mann dann noch einmal Anlass, über die immertreue Anhänglichkeit des Volkes zu staunen, die ihm zeitlebens ein Rätsel bleiben sollte: »Was haben mir diese Leute zu verdanken? In Armut habe ich sie angetroffen, und in Armut lasse ich sie zurück!«


Gefunden in: Eugen Tarlé, Napoleon, Berlin 1961, S.492 u. S.529. Erstauflage 1933.

Paradoxon

Mehr als man sich drin befänd
Lebt man hin zu dem Moment.
Ganz als ob sich dessen Sinn
Dann erhellen täte drin.

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