Oder: Das Scheitern einer rückwärtsgewandten Utopie
Tarantino hat einen Vietnamfilm gedreht, auch wenn Vietnam darin mit keiner Silbe erwähnt wird, was, wie ich finde, sehr wohl dafür spricht, dass Vietnam gemeint ist: Once Upon A Time In Hollywood. Was in dem Film verhandelt wird, ist die Antwort der amerikanischen Zivilgesellschaft auf den Krieg – hier konkret: der Hippiebewegung – und die Folgerichtigkeit des Scheiterns.
Die Antwort der Blumenkinder auf die Frage der Zeit – Vietnam oder: die verlorene moralische Unschuld des selbsternannten Weltsheriffs – war gewaltfreier Protest oder äußersten Falls ein spontaner Ungehorsam, der Reifen zersticht aber nicht bis Vier zählen kann. Letztlich handelte es sich um eine Form des Widerstandes, welcher ausgerechnet um das Verständnis desjenigen wirbt, der Adressat des Protestes ist: Papa Staat. Jede Utopie aber, die dem von Krisen begleiteten Fortschreiten der Gesellschaft mit dem Vorschlag begegnet, einfach das Rad der Zeit zurückzudrehen, wird zwangsläufig scheitern. Rückwärtsgewandt meint hier vor allem: Zurück zur Unschuld – back to nature: Verneinung des technologischen Fortschritts, Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols. Es ist die besinnungslose Rückbesinnung auf das Einzelschicksal, auf einen unschuldigen Naturzustand. Rückwärtsweisend, weil die einfachen und überschaubaren Outlaw-Lösungen der Vergangenheit nicht taugen für eine Gesellschaft, die ihre Kriege auf dem ganzen Globus austrägt und ihre Kultur in jeden Winkel desselben trägt. Die zunehmende Aussichtslosigkeit des Widerstands und die daraus folgende Enttäuschung führt entweder zu bekiffter Resignation oder schließlich Radikalisierung (Manson Family). Man kennt diese Verhaltensweisen von Heranwachsenden.
Der Rückzug der Utopie ist bei Tarantino längst im Gange: Die Spahn Ranch des blinden und vergesslichen Greises, der nichts anderes verkörpert als den alten Geist Amerikas, das Amerika, das mit etwas Unschärfe im Blick noch hoffen konnte, das Gute für sich reklamieren zu dürfen, dient den Hippies als der Hinterwald, die Weltflucht, worin die Utopie allein überleben kann. Der alte Spahn versteht nicht, was die Hippies von ihm wollen und sagt über seine Bettgenossin:
»Sie wird immer pissig, wenn ich einschlafe […] aber sie tut mir nichts, sie liebt mich«
Die Hippies nämlich lieben die Vergangenheit in ihrer romantisch vorgestellten Reinheit. Bezeichnender Weise wurden auf der Ranch früher – bevor die USA in Vietnam intervenierten – die klassischen US-Western gedreht. Der Held war gut, denn er handelte gut. Mit Vietnam aber hatten die USA vor den Augen der Welt ihre Unschuld verloren. Die alten Helden hatten ausgedient. Sie wurden entweder als Bösewichter recycled (Hollywood) oder spielten nun gebrochene Helden in den Eurowestern, was Tarantino exemplarisch an seinem Heldengespann vorführt: Dabei sind die von DiCaprio und Pitt gespielten Figuren die anschauliche Aufspaltung einer einzigen Person. Sie verkörpern Gehirn und Arm – Idee und Ausführung: Schauspieler Rick Dalton (DiCaprio) und sein Stuntman Cliff Booth (Pitt). Dalton versinnbildlicht Kulturbetrieb und Politik, Cliff Booth, der Mann fürs Grobe, ist die ausführende Gewalt. Beide schreiten Hand in Hand – symbolisch, wie Booth die Antenne auf Daltons Dach richtet – als wollte er den geopolitischen Dominoeffekt in Südostasien verhindern. Überhaupt passt alles ins Bild, nachdem die Schablone einmal darüber liegt:
Rick Daltons Nachbarin Sharon Tate geht schwanger mit der neuen Zeit, die keinen Geist hat, keinen, der über sich hinausweist. Sozusagen von allen Geistern verlassen. Roman Polanski, am Anfang des Filmes noch an ihrer Seite, ward dann auch nicht mehr gesehen. Tate besucht schließlich eine Vostellunng ihres eigenen Films und amüsiert sich köstlich über den darin statthabenden sinnfreien Slapstick, im selbstgefälligen Einklang mit ihrem Publikum. Sie wird am Ende – und das ist Tarantinos Dreh in der Geschichte – nicht durch die Manson Family umgebracht. Sie verkörpert schon den Geist der neuen Zeit, überlebt also und bringt die nächste Generation hervor, die Vietnam mit einem blendend weißen Lächeln hinter sich zurücklassen wird: Ein vorgezogener Gruß aus den Achtzigern, wo ein ehemaliger Westernschauspieler dann ja auch Präsdient werden durfte. Ein Seitenhieb auf Reagan ist wirklich das einzige, das hier fehlt. Die frühreife achtjährige Schauspielkollegin Daltons als entindividualisierter Effektivitätsjunkie passt dann wieder unter Tarantinos Schablone als Vorschein einer utopielosen Zukunft.
Die Leuchtreklamen springen vor der großen Finalnacht an: Show Must Go On. Staat (Booth) und Kulturbetrieb (Dalton) räumen mit den Resten der Hippies – mit der Manson Family – auf. Die Utopie wird zu Grabe getragen. Während Booth danach seine neuen Wunden verarzten lässt, öffnet sich am Ende für Rick Dalton wieder das große Tor zum Showgeschäft. Erstaunlich, wie immergrün und überhaupt nicht erschöpft er durch das Tor zu der Villa schreitet, worin Sharon Tate lebt! Tarantino hat sein Jahrhundert auf die Leinwand gebracht und seinen besten Film: Es war einmal in Amerika.
Post Scriptum: Vietnam kommt natürlich auch vor, in Gestalt von Bruce Lee.
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