Geschichte wiederholt sich nicht. Die guckt nur blöde aus der selben Wäsche. Aus gegebenem Anlass ein Auszug aus dem erstmals 1933 veröffentlichten Roman Lion Feuchtwangers: Die Geschwister Oppermann (Aufbau-Verlag Berlin 1963, 20 ff.).

»Die Sache war die. Im Anfang hatte Immanuel Oppermann die Möbel, die er verkaufte, nicht selbst hergestellt, sondern sie von Heinrich Wels sen. herstellen lassen, einem jungen, zuverlässigen Handwerker. Als man die Berliner Filialen gründete, die in Steglitz und die in der Potsdamer Straße, wurde die Zusammenarbeit mit Wels schwieriger. Wels war zuverlässig, aber er war gezwungen, zu teuer zu arbeiten. Bald nach dem Tode Immanuel Oppermanns begann man auf Betreiben Siegfried Briegers, des jetzigen Prokuristen, einen Teil der Möbel in billigeren Fabriken herstellen zu lassen, und als die Leitung des Geschäftes an Gustav und Martin [Oppermann] übergegangen war, gründete man eine eigene Fabrik. Für gewisse schwierige Arbeiten, für Einzelstücke, zog man die Welsschen Werktstätten nach wie vor heran: aber den Hauptbedarf des Möbelhauses Oppermann, das sich mittlerweile eine weitere Berliner und fünf Provinzfilialen angegliedert hatte, lieferten jetzt die eigenen Werkstätten.

Heinrich Wels jun. sah diese Entwicklung mit Erbitterung. Er war ein paar Jahre älter als Gustav, fleißig, solid, eigenwillig, langsam. Er gliederte seinen Werkstätten Verkaufsläden an. Musterbetriebe, mit größter Sorgfalt geführt, um gegen die Oppermanns aufzukommen. Aber er kam nicht gegen sie auf. Seine Preise konnten mit denen der standardisierten Oppermann-Möbel nicht konkurrieren. Den Namen Oppermann kannten zahllose Leute, die Fabrikmarke der Oppermanns, das Porträt Immanuels, drang in die äußerste Provinz, der biedere altmodische Text der Oppermannschen Inserate: »Wer bei Oppermann kauft, kauft gut und billig«, war geflügeltes Wort. Überall im Reich arbeiteten Deutsche an Oppermannschen Tischen, aßen von Oppermannschen Tischen, saßen auf Oppermannschen Stühlen, schliefen in Oppermannschen Betten. In Welsschen Betten schlief man vielleicht behaglicher, und Welssche Tische waren dauerhafter gearbeitet. Aber man zog es vor, weniger Geld anzulegen, selbst wenn die erstandenen Dinge vielleicht ein bißchen weniger solid waren. Das begriff Heinrich Wels nicht. Das wurmte ihn in seinem Handwerkerherzen. War der Sinn für Solidität in Deutschland ausgestorben? Sahen diese irregeführten Käufer nicht, daß an seinem, Wels‘, Tisch ein Mann achtzehn Stunden gearbeitet hatte, während das Oppermannsche Zeug Fabrikware war? Sie sahen es nicht. Sie sahen nur, bei Wels kostete ein Tisch vierundfünfzig Mark und bei Oppermann vierzig, und sie gingen hin und kauften bei Oppermann.

Heinrich Wels verstand die Welt nicht mehr. Seine Erbitterung stieg.

In den letzten Jahren allerdings wurde es besser. Eine Bewegung brach sich Bahn, die die Erkenntnis verbreitete, daß das Handwerk dem deutschen Volkscharakter besser entsprach als der normalisierte internationale Fabrikbetrieb. Nationalsozialistisch nannte sich diese Bewegung. Sie sprach aus, was Heinrich Wels längst gespürt hatte, daß nämlich die jüdischen Warenhäuser und ihre gerissenen Verkaufsmethoden schuld waren an Deutschlands Niedergang. Heinrich Wels schloß sich der Bewegung von ganzem Herzen an«.

Als Motto dem Roman vorangestellt Goethe:

»Das Menschenpack fürchtet sich vor nichts mehr als dem Verstand. Vor der Dummheit sollten sie sich fürchten, wenn sie begriffen, was fürchterlich ist.«