Avengers: Infinity War – Die Chinesen kommen

»Etwas ist faul im Staate Dänemark« lässt Shakespeare den berühmtesten Anti-Helden der Literaturgeschichte sagen. Aber dieses Dänemark riecht verdammt nach Themse. Und dieser Hamlet ist kein anderer als der Graf von Essex, der gegen Elizabeth I. putscht und darüber ganz kopflos wird. Das jedenfalls wissen wir spätestens seit der Lektüre »Shakespeare ohne Geheimnis« von André Müller sen. Da ist ein doppelter, ein gesellschaftlicher Boden eingebaut. Alle großen Dichter verfahren so.

Jedes der shakespearschen Dramen – egal also, ob es in Ägypten spielt oder in Florenz – handelt von Shakespeares London, so wie Voltaire immer wieder nur den Versailler Hof auf die Bühne bringt. Shakespeare arbeitet wie jener mit einem Schlüssel und Müller hat den gefunden. Und den braucht man eben, wo Aufschlussreiches verborgen liegt.

Das Marvel-Universum konnte man bisher nicht der hinreichenden Tiefe verdächtigen, solche Bedeutungen in sich zu bergen. Hier wird nicht Gesellschaft abgebildet, sondern Mode: Soll beispielsweise emanzipiert werden, entstehen farbige oder weibliche Superhelden. Droht eine nukleare Katastrophe, tauchen plötzlich radioaktive Spinnen auf. Dazu zerrt eine halbstarke Dramatik laufend den Gott aus der Maschine hervor wie den Kasper aus der Kiste.

Und auch der größenwahnsinnige Blockbuster »Avengers: Infinity War« knallt gleich herum, dass allen Sinnen der Tinnitus droht. Der Film ist purer Konfettiporno. Eine scheinbar wahllose Aneinanderreihung unzähliger Nummern. Die Nummern jedenfalls sind gut. Die Ästhetik ist akrobatisch und makellos.

Doch durch die Tür, die in der Fassade sitzt, geht es diesmal tiefer rein ins Haus. Auch das Marvel-Universum hält jetzt einen Schlüssel, den man finden kann. Die beiden Drehbuchautoren Christopher Markus und Stephen McFeely haben sich die Mühe gemacht und einen doppelten Boden eingezogen: »Avengers: Infinity War« erzählt die Geschichte von Chinas Aufstieg zur Weltmacht. Oberschurke Thanos, soll das heißen, meint China. Ich vermute, die betreffenden Geheimdienste sind längst an den beiden dran, um zu erfahren, wie es mit der Welt weitergeht.

Adressat der Botschaft einer Hollywood-Produktion kann nur das amerikanische Publikum sein, samt angeschlossenen Nebenrängen. Natürlich wird eine amerikanische Geschichte erzählt. China ist seit längerer Zeit der geopolitische Hauptfeind der USA. Woher sonst soll der Endgegner kommen? Dass Thanos‘ Reich wie das der Mitte ein überbevölkertes ist, ist schon fast zu offensichtlich, um einer Erwähnung wert zu sein.

Dann kriegt Thanos den Greenback-Blues: Gamora, das einzig geliebte Kind, das Einzige überhaupt im Universum, das Thanos liebt, ist wie der Dollar adoptiert und von grüner Farbe. Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht begann mit Deng Xiaopings Öffnung Chinas nach außen im Jahre 1978, der Öffnung mithin zum Dollar. Längst hält China den größten Betrag an Währungsreserven in Dollar weltweit. Ein offen ausgetragener Wirtschaftskrieg, wie er inzwischen droht, würde China zwingen, sich auf lange Sicht vom geliebten Dollar zu trennen. Gamora fliegt über die Klippe. China weint. Diese Vorhersage finden wir schon mal bei McFeely und Markus.

Eines aber fällt von Beginn an auf: Wer sich Thanos beugt, dem lässt er Schonung widerfahren – hier spielt also einer nach Regeln und ganz nach den Gesetzen der Diplomatie, wonach gilt, Feindschaften so lange wie möglich zu deckeln und Bündnisse so lange wie möglich zu nutzen, eine Eigenschaft, die sich der chinesischen Außenpolitik ohne Weiteres zuschreiben lässt.

Das Leid der Amerikaner rührt woanders her. Wie China im Wettrennen mit den USA auf allen Gebieten aufholt, einverleibt sich Thanos einen Infinity-Stein nach dem nächsten und bestückt damit den Handschuh bis zuletzt der gelbe Gedankenstein (Vision) in das Ensemble der sechs Steine eingepasst wird: Vision aber ist eine künstliche Intelligenz und nicht wenige glauben, dass der Wettlauf um die Künstliche Intelligenz das Kräftemessen zwischen China und den Vereinigten Staaten entscheiden wird.

Thanos ist der Star. Wenig lässt sich über die »Guten« sagen: Im Vorgänger »The First Avenger: Civil War« zerfiel der Westen in einen europäischen Block (angeführt von Iron Man, New York – für jeden Amerikaner gehört die Ostküste zu Europa) und einen amerikanischen Block (angeführt von Captain America). Die finden sich angesichts des übermächtigen Feindes wieder zusammen, womit wir die nächste Prognose der beiden Autoren zusammenhätten.

Ein guter Freund schenkte nach und wollte ergänzt wissen, dass der Hulk ganz sicher die Russen bedeuten müsse – eine Wundertüte mit Ladehemmung auf die man erstmal nicht zählen darf. Der Hulk wird gleich zu Beginn derb von Thanos verdroschen und kneift in der Folge: Bruce Banner kann das grüne Monster nicht mehr herausbringen. Am Ende stolpert er in einer Rüstung von Iron Man in die Schlacht. Hier ist die nächste Vorhersage: Der Opportunist wartet, bis der Sieger feststeht. Und der Sieger heißt vorerst: China.

Ich denke, ich habe die Fabel jetzt im Groben zusammen. Es gibt noch ein paar Feinheiten, die freundlicherweise ins Bild passen. Wer einmal Verdacht gehegt hat, vor dem lässt sich kaum noch etwas versteckt halten:

Thanos schickt vier Handlanger: Ebony Maw, Cull Obsidian, Claive und Midnight. Die könnten auch Peking, Tianjin, Chongquing und Shanghai heißen. So nämlich lauten die Namen der vier regierungsunmittelbaren Städte, die der Zentralregierung der Volksrepublik China direkt unterstehen.

Bis hierher ist alles nach strengster Wissenschaft vollzogen, weswegen ich mir einmal das Recht herausnehmen möchte zu spekulieren: Ich wünschte, dass Thor der Gorbatschow sei und das untergegangene Asgaard das untergegangene Sowjetreich meint. Ich befürchte allerdings, er ist einfach ein Greenpeace-Krieger.

Ein letztes Argument noch, welches mir, wäre es mir eher eingefallen, die vorgehenden Beweisführungen würde erspart haben: Die Poesie hat immer Recht. Die Flunder ist ein Plattfisch und Bayern liegt nicht an der Nordsee. Und doch wählt die Flunder CSU.

Hat wer die Anschrift von Christopher Markus oder Stephen McFeely? Ich hab einen Schlüssel gefunden und ich glaube, der gehört den beiden.