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Verse und andere Gereimtheiten

Kategorie: Gedicht (Seite 6 von 8)

Retardierendes Moment

Eh die schwere Dämmerwolke
Wie ein Vorhang aus Gemüt –
Tiefe Nebel im Gefolge –
Schon die Sonne überzieht;
Blitzt aus einem Fetzen Blau
Noch ein letzter Strahl durchs Grau.

Blickwinkel

Es zieht ein Kragenteppichhai
Vorbei an Sylt nach Norderney.
Da glotzt die Flunder schräg im Watt:
»Das glaub‘ ich nicht! Da bin ich platt«!

– Und die Moral?
– Jene:

Ruft mahnend euch die Flunder wach! –
Für welche alle Wunder flach.

Probealarm

Noch heute, sagst du, fallen Bomben –
Und Morgen? – Wird nichts sicher sein.
Nicht einmal mehr in Katakomben.
Dein Kleid rauscht flink zur Tür herein.

Es ist zu spät, als Held zu sinken,
Die Zeitung, ungelesen, liegt
Im Treppenhaus: »So lass uns trinken,
Als ob es auch kein Morgen gibt«.

Das dumme Schwein

Das folgende Gedicht bereitet nur dem Vergnügen, der sich beim Lesen seinen Lieblingsfeind vors Auge hängt. Nämlich wer keine Feinde hat, was will der mit Gedichten? Doch das Verfahren ist mit Vorsicht zu genießen. Mit Feindbildern macht man sich zu schnell einen Reim auf die Welt. Wer es dennoch einmal ausprobieren mag und wem nicht sofort einer einfällt, der kann sich hier zum Beispiel mit Carsten Maschmeyer versuchen:

Ich habe kaum die Zeit zu klagen
Und springe nicht an jeden Kragen.
Doch seh ich dich, dann muss ich schrein:
Du Schwein, du Schwein, du dummes Schwein.

Welch hohler Sinn, dem Mensch zu grollen,
Er muss ja erst, dann darf er wollen.
Doch nichts fällt mir zu dir mehr ein:
Du Schwein, du Schwein, du dummes Schwein.

Und jeder kocht nach Interessen.
Wie lange nichts kommt nach dem Fressen.
Doch du machst, wo du frisst, noch drein:
Du Schwein, du Schwein, du dummes Schwein.

Freudscher Verbrecher

Bis zum Rande aufgeschüttet
Steht der Kaffee dampfend da.
Luna, morgendlich zerrüttet,
Sitzt davor – dem Unglück nah.
Ja sie träumt noch, fern der Spur,
Von der irdischen Natur.

Und sie breitet planend eine
Karte für die nächste Reise.
Als sie überschlägt die Beine,
Wippt der Tisch, schon schwappt die heiße
Brühe, Gott! Verbrenn‘ nicht die
Schönen, unbedeckten Knie!

Aber da vor ihrem Schoß
Jene Karte noch gespannt,
Spritzt der ganze Inhalt bloß
Übers schöne Erdenland.
Just an dem Punkt, letzte Nacht,
Bin ich aus dem Traum erwacht.

Trinkerdialektik

Als ich zwischen Bock und Tresen
Fröhlich hing beim Biergesang,
Da erschien mir jüngst ein Wesen,
Das durch Nebel zu mir drang:

»Ich bin Gott und hier, Du Sünder
Und ich werde Wahrheit sprechen
Als dein letzter Heilsverkünder:
Hüte jedes weitre Zechen!«

»Nein« – sprach ich – »in meinem Trott
Kenne ich nur einen Gott:
Der die Krüge führt zum Hahn,
Du scheinst mir ein Scharlatan.«

Ferner hob ich meine Hand,
Ins Verständnis mich zu setzen,
Mit dem treuen Wirt, da stand
Gleich ein frisches Pils zum Netzen.

Gott, der Szene längst enthoben:
»Teufel weiß, zu welch Behuf
Ich der Welt, dem Schweinekoben,
Bier und Korn und Kümmel schuf«.

Büchernarren

So ein Mensch, der Bücher hat,
Wird des Lebens schnell nicht satt:
Dieses kann ihm Beispiel geben –
Jenes lässt sich nacherleben.

Eines aber birgt Gefahr:
Nimmt er jede Münze bar,
Denkt er, was geschrieben steht,
Jedes Mal: na klar! – das geht.

So zum Beispiel las die Liese,
Dass im Freien, auf der Wiese,
Über jedes Herz der Duft siegt:
Da die Liebe in der Luft liegt.

Und sie sprang voll Heiterkeit
In ihr sommerlichstes Kleid
Lief hinaus in die Natur
Im Dezember und erfror.

Als Professor Obermaß
Hiervon in der Zeitung las,
Sah man ihn nur drüber lachen
Und sich furchtbar lustig machen.

Und sein Lachen schwellte weiter
Bis es plötzlich von der Leiter
Seiner Bibliothek herab-
stürzte gradewegs ins Grab.

Bescheidenheit

Sie standen auf der Klippe,
Er plauderte im Scherz
Zu ihr: er könne fliegen,
Da stieß sie ihn abwärts.

Sie sah ihn niemals wieder.
Auch wenn sie Jahr um Jahr
Zurück auf jenen Felsen stieg.
Sie wurd ihn nicht gewahr.

Da lief das Herz ihr über,
Sie stürzte sich hinab
Zu eben jener Stelle,
Ob sie ihn finden mag.

Und über ihren Sturzflug
Hinweg flog er vorbei
An ihrem letzten Worte.
Er hörte nur den Schrei.

Und die Moral von der Geschicht?
Der Vogel fliegt nicht, um zu fliegen, und
Der Rest? Fliegt gar nicht.

Der Einfall

Kennst du das Ding, das singt?
Wer musisch fühlt, der kann es hören
Und sorgen, dass es ferner dringt
In schöne Ohren und erklingt,
Wo böse Menschen sich dran stören.

Von hinten grinst der Lurch

Keiner je, der ’s nicht bereut hat,
Wenn er sich zu früh gefreut hat.
Wer nicht lernen will, der staune:
Unser Lurch ist guter Laune!

Nehmt als Beispiel hier den Führer,
Ein gar schrecklicher Verlierer.
Traf den Lurch auf seinem Posten:
Bärtig grinste der von Osten.

Weit geringere Gestalten
Ließen keine Umsicht walten,
Zogen stur ihr Ding noch durch
Als längst grinste unser Lurch.

Schließlich: Er kennt seine Leute,
Ja er wittert leichte Beute
Auch bei dir – man kann’s verstehn –
Hat man ihn schon oft gesehn.

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